Was ist nachhaltige Stadtentwicklung?

Gastbeitrag von Martina Auer

Heute schon leben mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, also rund 4 Milliarden Menschen. Schätzungen zufolge wird sich diese Zahl bis zum Jahr 2050 auf bis zu 75 % erhöhen.
In Deutschland leben jetzt schon 3 von 4 Menschen in Städten.
In Bezug auf die Auswirkungen und die Eindämmung der Klimakrise werden die Städte eine zentrale Bedeutung haben. Sie sind für bis zu 80 % des energiebedingten Ausstoßes von CO2 verantwortlich. (Quelle 1)

Städte müssen in Zukunft nachhaltig wachsen.
Wie kann das gehen und welche konkreten Projekte gibt es schon?

Die Theorie:

In der Agenda 2030 hat sich die Weltgemeinschaft im Jahr 2015 auf 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung festgelegt, die Sustainable Development Goals.

SDG 11 befasst sich genau damit: Nachhaltige Städte und Gemeinden

Dies bedeutet:

  • Nachhaltige Nutzung der Flächen
  • Sichere, bezahlbare und nachhaltige Mobilität in der Stadt und auf dem Land
  • Senken der Umweltbelastung durch Städte
  • Gesicherte Grundversorgung und digitale Anbindung ländlicher Gemeinden
  • Bezahlbarer Wohnraum für alle

(Quelle 2)

Die Praxis:

Stadtentwicklung ist sehr komplex und herausfordernd. Will sich eine Stadt nachhaltig entwickeln, muss sie es schaffen, ökologische, ökonomische und soziale Aspekte in Einklang zu bringen.

Menschen in der Stadt müssen mit Energie, Trinkwasser und Nahrung versorgt werden, Mobilität muss zukunftsgerecht ausgerichtet werden, sie muss möglichst ohne Emissionen von Treibhausgasen und Lärm auskommen, es muss ein guter Umgang mit Ressourcen und Müll gefunden werden, Maßnahmen zum Klimaschutz müssen umgesetzt  werden und schließlich soll alles bezahlbar bleiben und der soziale Frieden gewahrt werden.

Wie immer gibt es keine pauschal anwendbaren Lösungen für alle Städte.

Küstenstädte haben ganz andere Anforderungen als Städte in sehr trockenen Gegenden. Länder der sogenannten „entwickelten Welt“ haben überwiegend Vorteile bei Anpassungsmöglichkeiten gegenüber den sogenannten „Entwicklungsländern“. Diese sind außerdem vielfach intensiver vom Klimawandel betroffen, obwohl sie nicht für ihn verantwortlich sind.

Weltweit gibt es unterschiedlichste Ansätze wie man mit den jeweils drängendsten Problemen umgehen kann.

Hier sind einige wenige, aber wichtige Beispiele aufgelistet (ohne Anspruch auf Vollständigkeit).

Verkehrswende

Die Verkehrswende ist einer der Schlüssel für eine zukunftsfähige Stadt.

Das Ziel müssen Städte sein, die umweltschonend mobil, lärmarm, grün, kompakt und durchmischt sind. Wenn Verkehrssysteme klima-, umwelt- und sozialverträglich umgestaltet werden, gewinnt man Platz zum Leben und Arbeiten. Alles sollte auf kurzen Wegen über öffentlichen Verkehr erreichbar sein. Individualverkehr mit dem Auto und die Menge an sich muss auf ein Minimum reduziert werden. Ein Plus an Lebensqualität wäre die Folge: mehr Platz zum Wohnen, Erholen, Spielen, Kommunikation und Barrierefreiheit, weniger Lärm, Abgase und Stress und damit verbundene Krankheiten, weniger Treibhausgase.

Für die Verkehrswende braucht es eine sehr gute digitale Infrastruktur, da die Verkehrsmittel intelligent gesteuert werden müssen. Smart City-Modelle betreffen sowohl technische Infrastruktur, Gebäude und Dienstleistungen, Verwaltungen, als auch Mobilität. Carsharing-Fahrzeuge und Mietfahrräder könnten gebucht werden, intelligente Ticket-Modelle vereinfachten Tarife und Apps könnten die verschiedenen Verkehrsmittel kombinieren. Auch die Steuerung des Güterverkehrs an die für die Stadt sinnvolle Zeiten könnte über Digitalisierung erfolgen.

Das alles erfordert auch eine Prioritätenverschiebung: Vorrang hätten der Fuß- und Radverkehr, dann der öffentliche Nahverkehr und erst zum Schluss käme der Individualverkehr. Ampelanlagen könnten dementsprechend gesteuert werden.

Wichtig sind darüber hinaus zusammenhängende Fuß- und Rad- bzw. Rad-Schnellwege. (Quelle 3)

In Zürich wurde bereits 1979 beschlossen, dass der öffentliche Verkehr Vorrang vor dem Individualverkehr hat. Bahn- und Buslinien sind eng getaktet und aufeinander abgestimmt, Fuß- und Radverkehr bekommen mehr Raum. Parkplätze sind selten und teuer. 65 % der Pendler nutzen den öffentlichen Nahverkehr und damit liegt die Stadt im europäischen Spitzenbereich.

In Kopenhagen sieht man ebenfalls eher wenige Autos. Zwei Drittel der Menschen fahren mit dem Fahrrad zur Schule, Uni oder Arbeit. Grüne Wellen werden sogar auf der Fahrbahn durch Lichter angezeigt.

Amsterdam hat ebenfalls eigene Radspuren, beim Führerschein lernen die Menschen, rücksichtsvoll zu fahren und Fahrrädern Vorfahrt zu gewähren. Das Wegenetz in den Niederlanden ist deutlich größer und besser gekennzeichnet. (Quelle 4)

Zukunftsmodell Schwammstadt

Durch die dichte Bebauung ist die versiegelte Fläche in Städten sehr hoch. Bedingt durch den Klimawandel gibt es immer mehr Wetterextreme –  von Starkregen und Überflutungen bis hin zu Hitzeperioden. Dann werden Städte zu regelrechten Hitzeinseln, da sich Beton-, Stahl- und Glasfassaden zusätzlich aufheizen.

Bei Starkregen kann die Kanalisation die Regenmengen oft nicht mehr bewältigen und es kommt zu Überflutungen.

Bei einer Schwammstadt werden Flächen geschaffen, die es ermöglichen, auch große Wassermengen aufzunehmen und diese zeitverzögert abzugeben. Es wird in Zwischenspeichern gesammelt und versickert nach und nach. Es wird also durch den normalen Regenwasserkreislauf dem Grundwasser zugeführt und gar nicht mehr in die Kanalisation geleitet. Diese Zwischenspeicher können zum Beispiel Parkanlagen, Spielplätze oder tiefergelegte Grünflächen sein.

Teilweise wird mit sog. Baum-Rigolen gearbeitet. Rigolen sind Versickerungsmulden und Baum-Rigolen kombinieren diese mit Baumbepflanzung, die Staunässe gut vertragen können, z. B. Sumpfeichen.

Ein weiteres Merkmal von Schwammstädten ist eine ausgeprägte Begrünung. Bäume, Pflanzbeete, Dach- oder Fassadenbegrünungen können bspw. bei Regen Nässe aufnehmen und bei Hitze die Feuchtigkeit an die Umgebung abgeben. Die Verdunstung wirkt kühlend.

Flächenentsiegelung ist essentiell für Schwammstädte, da nur so Wasser vom Boden aufgenommen werden kann.

Weiterhin können Teiche, Feuchtgebiete oder unterirdische Regenwasserspeicher angelegt werden.

Kopenhagen ist Vorreiter beim Konzept der Schwammstadt. Nach mehreren Überflutungen nach Starkregenereignissen hat die Stadt schon seit 2012  einen umfassenden Plan zur Überflutungsvorsorge. Hier wurde der Grünflächenanteil qualitativ und quantitativ erhöht, Flächen entsiegelt, Straßenflächen zugunsten von Stadtplätzen mit Aufenthaltsqualität zurück gebaut, wo gleichzeitig Wasser versickern kann. Es gibt unterirdische Rigolen und tiefergelegte Versickerungsbecken. (Quelle 5-7)

Superblocks

Mit dem Konzept der Superblocks (spanisch: Superilla) hat Barcelona bereits vor ein paar Jahren große Wohnblocks (9 insgesamt) zum ersten Mal zusammengefasst, diese autofrei gemacht und damit viel Platz, weniger Lärm, mehr Sicherheit für Kinder und Erwachsene und mehr saubere Luft geschaffen. Statt parkender oder fahrender Autos gibt es Bäume, Bänke und Pflanzbeete. Menschen nutzen den Raum als Aufenthaltsraum. Lärm und Luftverschmutzung nehmen ab, natürlich auch Unfälle. Die Einführung der Maßnahme war umstritten und es gab heftige Widerstände. Der Erfolg gibt dem Konzept aber recht. Mittlerweile wurden in Barcelona bereits 6 Superblocks realisiert, 15 weitere sollen folgen. Auch für verschiedene deutsche Städte wird das Konzept geprüft. Je nach Stadtstruktur ist dies mehr oder weniger gut umsetzbar bzw. muss adaptiert werden. (Quelle 8)

Stadtbegrünung

Essen hat den Titel „Grüne Hauptstadt Europas“. Es wurde ein künstlicher See angelegt, viel Grün gepflanzt. Dadurch findet eine natürliche Regulierung des Klimas bis in die Innenstadt statt. Das Ziel: auch ohne Klimaanlagen ausgewogenere Temperaturen zu erhalten, eine bessere Luftqualität und auch Lärmabsorption.

Es werden 800 Straßenbäume pro Jahr gepflanzt. Bäume aus Südeuropa oder Zentralamerika werden bevorzugt, z. B. der Amberbaum. Er ist widerstandsfähig und kann mit Trockenheit und Hitze gut umgehen. Bäume sorgen für Schatten und Kühlung durch Verdunstung.

Begrünung ist essentiell: Dachgarten, Fassade, alles wird genutzt. Diese Maßnahme wirkt auch gegen Luftverschmutzung. Pflanzen sorgen für reinere und kühlere Luft, sie binden Feinstaub und vermeiden Stickoxide (NOX).

Rad-Schnellwege werden darüber hinaus ausgebaut.
(Quelle 9)

Bauen auf dem Wasser

Die Malediven müssen mit einem Meeresspiegelanstieg um 1-2 Meter bis zum Jahr 2100 rechnen.

Die Stadt Malé liegt nur 0,5 bis 1,00 m über dem Meeresspiegel und ist mittlerweile jedes Jahr mit Überschwemmungen durch Stürme konfrontiert und das Meer wird so warm, dass die Korallen bleichen.

Als Reaktion darauf wird dort wird eine schwimmende Stadt gebaut.

Die Gebäude sind wie Waben angeordnet, Energie beziehen sie aus Solarmodulen, aus 7 km Tiefen wird kaltes Wasser in Wände geleitet, um sie zu kühlen. Somit ist keine Klimaanlage nötig. Das sind gute Ansätze, aber es gibt auch Zweifel, ob dies alles schnell genug für viele Menschen funktionieren wird. Essentiell und oberste Priorität wird auch hier der Ausstieg aus fossilen Energien gesehen.

Zudem sind Eingriffe in den Meeresboden (Ausbaggerungen, Bausedimente) durch den Bau und die Verankerung der Häuser ebenfalls Störungen der empfindlichen Ökosysteme, deren Folgen langfristig nicht absehbar sind. Malé und die Malediven sind jedoch von Tourismus und intakten Ökosystemen abhängig.

In Amsterdam geht man ähnliche Wege: Es gibt dort seit 2010 ein neues Wohnviertel: 60 Häuser schwimmen vor der Stadt.

Die Stadt hat schon traditionell immer Wasserflächen als Wohnflächen benutzet (Flusshäuser in Grachten). Diese Art zu bauen wird also weitergedacht und die Erfahrungen mit der jetzigen Bebauung fließen in eine neue Generation von Gebäuden ein. (Quelle 10)

Martina Auer
Grafikdesign, Kommunikation und Konzeption für Nachhaltigkeitsprojekte, Büro für nachhaltige Gestaltung
www.martinaauer.de

Meine Motivation:
Wie wollen wir in Zukunft verantwortungsvoll leben und unseren Kindern eine lebenswerte Welt erhalten?
Diese Frage treibt mich um und dafür möchte ich positive Lösungsmöglichkeiten aufzeigen.
Bewusstsein schaffen ist immer der erste Schritt auf diesem Weg.
Die Kommunikation von allen Themen rund um Nachhaltigkeit habe ich daher zum Inhalt meines Büros für nachhaltige Gestaltung gemacht.

Du kennst weitere tolle Projekte für eine nachhaltige Stadtentwicklung? Dann schreib gern ein Kommentar.

Quellenangaben

Quelle 1: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/nachhaltigkeitspolitik/nachhaltige-staedte-gemeinden-1006538
Quelle 2: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/nachhaltigkeitspolitik/nachhaltige-staedte-gemeinden-1006538
Quelle 3: https://www.umweltbundesamt.de/themen/verkehr/nachhaltige-mobilitaet/die-stadt-fuer-morgen-die-vision#sicher
Quelle 4: https://www.planet-wissen.de/video-positiv-beispiele-fuer-neue-verkehrskonzepte-100.htmlzd
Quelle 5: https://www.gruen-in-die-stadt.de/schwammstadt/
Quelle 6: https://neuelandschaft.de/artikel/kopenhagen-vorreiter-beim-thema-ueberflutungsvorsorge-3350
Quelle 7: https://de.wikipedia.org/wiki/Schwammstadt
Quelle 8: https://www.spektrum.de/news/verkehrsplanung-superblocks-fuer-lebenswertere-staedte/2044237
Quelle 9: https://www.zdf.de/dokumentation/planet-e/planet-e-planen-bauen-leben—die-staedte-der-zukunft-100.html
Quelle 10: https://www.zdf.de/dokumentation/planet-e/planet-e-schwimmende-staedte-100.html

Stand Mai 2023

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